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Einführung „Umbau“ Tine Schumann, Wendelinskapelle Weil der Stadt, 28.2.21

 

„Wenn ich die Teck sehe, bin ich daheim“ Das steht als Motto auf einer Einladungskarte von Tine Schumann anlässlich einer Ausstellung im heimischen Kornhaus, der Städtischen Galerie von Kirchheim /Teck. Immerhin war der eigentliche Titel der damaligen Ausstellung „Zweifel“. Die Gewissheit, daheim zu sein, war sicher nicht titelgebend für die dort geborene Künstlerin, die zunächst im nahen Nürtingen und dann in Leipzig studiert, in Berlin gelebt und gearbeitet hat und Ausstellungen in wichtigen Häusern zwischen Berlin, Köln, Stuttgart und Karlsruhe in ihrer Vita auflistet - jetzt auch in Weil der Stadt beim Kunstforum.

Wir vom Kunstforum haben sie eingeladen, weil Tine Schumann in Räumen und für Räume inszeniert, und wir hier einen vorzüglichen Raum für eine solche Inszenierung haben; und weil die erste Ausstellung des Jahres auch eine Kooperation mit der hiesigen Volkshochschule und der von ihr eingeführten Tradition der „Frauenwochen“ in Weil der Stadt ist. Jetzt fallen die Frauenwochen coronabedingt aus und die Raumsituation der Wendelinskapelle kann zunächst nicht so erlebt werden wie geplant.

Das Kunstforum hat, wie viele andere Kulturbetreiber , zunächst nicht gewußt, ob die Planung überhaupt realisierbar ist. Deshalb sind wir der Künstlerin nicht nur dankbar, dass sie die Einladung nach Weil der Stadt angenommen hat, sondern dass sie dann sogar vorgeschlagen hat, die Inszenierung den Einschränkungen gemäß zu gestalten: Zum ersten Mal wird die Wendelinskapelle zur Guckkastenbühne.

Zu sehen sind so beim Einblick in den Raum große mehrteilige Wandbilder auf Seidenpapier- Kohle und Tusche sind die dominierenden Gestaltungsmittel, auch gerahmte Papierarbeiten und dreidimensionale Elemente, Plastiken aus bemalter Pappe und zahlreiche Rot - weiße hängend installierte Fluchtstäbe setzen Akzente im Raum. Am Boden kontrastieren weiße Vogelsilhouetten die schwarzen Vögel .

Seit einigen Jahren hat Tine Schumann ihre Bilderwelt entwickelt, die auch hier inszeniert wird: Tierische und menschliche Figuren, pflanzliche, technische, gegenständliche und landschaftliche Elemente in Verbindung mit malerischen Strukturen und stilisierten Objekten. Einen besonderen Platz nimmt dabei das menschliche Herz ein, das abbildhaft naturalistisch in Bildkompositonen, sowie dreidimensional stilisiert präsentiert wird. Unser zentrales lebenserhaltendes Organ ist verbunden mit einem Netz aus Blutgefäßen ,die, veflechtungsmotivisch strukturell in Tine Schumanns Werk, Bezüge zu Pflanzen herstellen, wie die wiederholt verwendeten Phalaenopsisdarstellungen, die vertraute Orchideenart mit

ihren fleischig dicken Wurzeln und ihren schmetterlingsassoziativen Blüten, auf die auch der Begriff der „falterartiges Aussehen“ bedeutet, zurückzuführen ist.

Daneben sind Pflanzenformen der Bryonia, der rankenden Zaunrüben, bildgebende Elemente. Es sind Kürbisgewächse , deren Teile, Beeren zum Beispiel, giftig sind.

Die erwähnten Formen pflanzlicher und generell organischer Art werden ergänzt durch ein zeichenhaftes Objekt dorniger Anmutung , das Tine Schumann als Gestrüpp bezeichnet, eine Art Dornbusch, der zwischen stilisierter und abstrakter Form und naturalistischen Bezügen steht, die die erwähnte Verflechtungsmotivik aufgreifen. Inhaltlich verknüpft sie damit Elemente aggressiver Auseinandersetzung mit organischen Strukturen ebenfalls aggressiver Anmutung. Die Wandzeichnung, die jetzt in der direkten räumlichen Konfrontierung nicht erlebbar ist, zeigt menschliche und tierische Figuren als räumliche Zeichnung:

 

(Zitate aus „Mission Impossible“, Ausstellungskatalog Kunstzentrum Karlskaserne , Ludwigsburg 2018.)

„Gehen schwer bewaffnete Polizisten gegen Demonstranten vor oder wehren sich Kämpfer gegen Angreifer? Wer ist hier militant? Hunde (oder sind es Wölfe?) springen und laufen zwischen Menschen umher, verwandeln sich. Natur und Zivilisation, wolfsähnliche Hunde, gezähmte Wölfe: Wer zähmt hier wen, wer beherrscht wen? Die Tiere bewegen sich inmitten von Demonstranten oder Polizisten, sind mal Jäger, mal Gejagte, Malträtierte im Griff der durch Schutzschilde und Kampfanzüge anonymisierten Akteure. Menschen und Hunde fügen sich zu einem Tableau über Gewalt in unserer Gesellschaft. Pressefotografien von Straßenkämpfen spitzen gern dramatisch zu, sie zeigen Blöcke auf beiden Seiten. Oft prallen romantisch stilisierte Helden und eine hoch aufgerüstete Polizei aufeinander. Wer hat das Privileg der Gewaltausübung? Welche Mittel des Widerstands sind legitim? Wer sind die Guten und die Bösen an diesen Fronten?...Menschliche und tierische Körper (oder Mischwesen) treten im Kampf gegeneinander an, humane und animalische Aggressionen brechen auf. Widerstand, Revolte gegen welche Ordnung: Alles gerät aus den Fugen. Die Materialien vermitteln mit Transparenz und Dichte eine Dynamik, sie ästhetisieren die Szene und verleihen ihr eine Allgemeingültigkeit, öffnen sie weg von engen lokalen Skandalen zu universellen Fragen sozialen Zusammenlebens“ (bzw. sozialerAuseinandersetzung!)

Solche Szenerien werden in der Kapelle mit überdimensional großen Vögeln konfrontiert, die dazwischen zu schweben scheinen, Vögel die nicht nur wegen ihrer dunklen Farbgebung Rabenvögeln zuzuordnen sind. In Bildern erscheinen sie auch als clusterartige Ansammlungen, die von menschlichen Figuren festgehalten oder gesteuert werden:

„Drachen“. Dazu treten Drohnen, die geflügelten motorisierten Luftwesen der Neuzeit, welche die Bedrohlichkeit der Szenerie verstärken.

In ihrem Kommentar zur Ausstellungsplanung setzt die Künstlerin ihre Bildszenerien in neueZusammenhänge, die vermuten lassen, dass dabei auch gewaltsame Auseinandersetzungen mit gemeint sein könnten:„Die Bilder, die in der Ausstellung zu sehen sind und die direkt für die Ausstellung gefertigte Installation versinnbildlichen die Thematik des Umbaus. Sie setzen ihren Fokus auf das Leben in der Gesellschaft als permanentem Mess-und Formungsprozeß.
Die Bilder und Installationen erzählen in tierfabelartigen Szenerien von Veränderung und Verunsicherung, vom Ausmessen und Ausloten, (zeichenhaft dafür steht auch das Motiv der Absperrungsbänder und Fluchtstangen), von Vernetzung, Hoffnung auf Erneuerung und Verbesserung, der Sehnsucht nach sozialer Versöhnung und der hoffnungsvollen Utopie einer demokratischen, solidarischen, umweltbewußten und klimaneutralen zukünftigen Welt.

Der Titel der Ausstellung bezieht sich auf die
allgemeine Situation mit Corona.
Gesellschaft, Wirtschaft und Arbeitsmodus haben seit Beginn der Pandemie Umbauten erlebt, die zuvor kaum vorstellbar waren. Es ist derzeit nicht absehbar, wie lange wir noch in dieser Situation sein werden und in wie weit die Umbauten und auch die Notwendigkeit zur Flexibilität ein fester Bestandteil unseres Lebens werden.

Ich als Künstlerin, so Tine Schumann, bin in eine Situation geworfen, bei der die Ausstellungsbedingungen auch für alle weiteren Beteiligten: das Kunstforum, den Redner und das Publikum nicht klar absehbar sind. So habe ich entschieden, den Umbau zum Programm zu machen und auf die sich hoffentlich positiv verändernde Situation auch während der laufenden Ausstellung zu reagieren. Es handelt sich also um eine Ausstellung im Fluss.

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Festgelegt sind minimale Bedingungen unter denen die Ausstellung auf alle Fälle stattfinden kann: So wird der Einblick in die Kapelle von außen ermöglicht und gewünscht. Für diesen Blick von Außen sind als provisorischer Umbau an der Kapelle Treppen angebracht, so dass auch über die Fenster an Ost- und Nordseite in die Kapelle Einsicht genommen werden kann.

Sobald es die verordneten Beschränkungen zulassen wird die Ausstellung zumindest auch für einzelne Besucher begehbar sein. Die sich immer wieder verändernden Einschränkungen führen zur Notwendigkeit an Flexibilität der Künstlerin, des Kunstforums und des Publikums. Die aktive Reaktion auf die jeweilige Situation wird zur Chance für neue Perspektiven. Die Digitalisierung lässt eine größere Vernetzung zwischen Publikum und Ausstellung zu und ermöglicht in diesem Fall über regelmäßige Newsletter und Aktualisierungen im Netz, das Publikum auf dem Laufenden zu halten. So wird es u.a. auch ein Video zur Ausstellung geben, das im Internet veröffentlicht wird.“

H.P.Schlotter 2/21

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